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9.1.1 Die Mondbahn - Bahnelemente und Störungen

Der Mond bewegt sich rechtläufig (vom Nordpol der Ekliptik aus gesehen entgegen dem Uhrzeigersinn) auf einer Ellipse mit der relativ geringen mittleren Exzentrizität $e$ = 0,0549 innerhalb der mittleren siderischen Umlaufzeit $P$ = 27,32166 d (siderischer Monat) um die Erde. Dabei beträgt die mittlere Mondbahngeschwindigkeit $\overline{v}_{\rm B} \approx 1,022$ km/s (Kreisbahn mit dem Radius der kleinen Halbachse $b$, $b = a \sqrt{1-e^2}$). Die den KEPLERschen Gesetzen folgende Bahngeschwindigkeit des Mondes auf einer ungestörten Ellipsenbahn kann mit Hilfe der für das Zweikörperproblem gültigen Geschwindigkeitsbeziehung berechnet werden:

\begin{displaymath}
\hspace*{1cm}
v^2 \ = \ \gamma \ (m_{\rm E}+m_{\rm M}) \ \left(\frac{2}{r} -
\frac{1}{a} \right).
\end{displaymath} (1)

Dabei stellen $\gamma=6,672 \cdot 10^{-11}$ Nm$^2$/kg$^2$ die Gravitationskonstante, $m_{\rm E}= 5,974 \cdot 10^{24}$ kg die Masse der Erde, $m_{\rm M}= 7,348 \cdot 10^{22}$ kg die Mondmasse und $r$ den geozentrischen Mondabstand dar. Die mittlere Länge der großen Halbachse der Mondbahn beträgt $a$ = 384400 km. Die Bahnebene ist um $i=5^\circ \ 9'$ gegen die Ekliptik geneigt. Für das Argument des Perihels $\omega$ und die Länge des aufsteigenden Knotens $\Omega$ lassen sich wegen ihrer fortlaufenden Änderung keine globalen mittleren Werte angeben. Durch die relativ geringe Entfernung der Sonne vom Zweikörpersystem Erde-Mond kommt es zu starken Störungen der Mondbahn, die sich in periodischen (sich wieder aufhebenden) und säkularen (langsam anwachsenden) Veränderungen der Bahnelemente bemerkbar machen. Um die allein auf den Mond wirkende Störkraft im System Erde-Mond (bei ruhender, d.h. ungestörter Erde) zu bestimmen, muß man die gleichzeitig auf die Erde wirkende Kraft von der auf den Mond wirkenden Kraft abziehen. In Abb. 1 sind die Konstruktion der Störkraft sowie ihre Richtungen und Größen bei verschiedenen Konstellationen Erde-Mond-Sonne dargestellt.



Die Störkraft kann in die drei Komponenten $F_{\rm B_\perp}$ (Kraftkomponente senkrecht zur Mondbahnebene), $F_{{\rm B_\parallel},r}$ (in der Mondbahnebene wirkende radiale Kraftkomponente) und $F_{{\rm B_\parallel},t}$ (in der Mondbahnebene wirkende senkrecht zur radialen Komponente (ungefähr tangential) wirkende Kraftkomponente) zerlegt werden, die in ihrer Wirkung zu verschiedenen im folgenden aufgeführten Effekten führen, deren Perioden von der Abstandsvariation des Systems Erde-Mond von der Sonne abhängen. Die größte dieser Störungen (max. $1,25^\circ$ bzgl. der durch die Mittelpunktsgleichung berechneten Länge, was in der Beobachtung einer Ortsverschiebung von mehr als fünf scheinbaren Mondradien entspricht), die bereits von HIPPARCH (um 190-125 v.u.Z.) bemerkt wurde, ist die Evektion. Größe und Periode (31,8 d) dieses auf die Wirkung von $F_{{\rm B_\parallel},r}$ zurückzuführenden Effektes hängen von der gegenseitigen Stellung von Sonne, Mond und Apsidenlinie der Mondbahn ab. Zeigt die Apsidenlinie zur Sonne, so ist der die Mondbahnellipse streckende Einfluß der Sonne am größten, liegt sie senkrecht zur Sonnenrichtung, so ist der stauchende Einfluß maximal (siehe Abb. 2). Der Mond bewegt sich also auf einer Ellipsenbahn mit ständig veränderlicher Exzentrizität ( $e=0,044 \cdots 0,066$), was zu den deutlichen Längendifferenzen des Mondortes führt. Gleichzeitig mit der Evektion bewirkt $F_{{\rm B_\parallel},r}$ eine Drehung der Apsidenlinie, d.h. eine Drehung der Mondbahn in ihrer Ebene, die global gesehen in Richtung des Mondumlaufes mit einer Periode von 8,85 a stattfindet (siehe Abb. 2). Die Streckung oder Stauchung der Mondbahnellipse erfolgt mit einer Periode, die wegen der oben genannten Drehung der Apsidenlinie etwas über einem halben Jahr liegt.



Abb. 2: Wesentliche Störungen der Mondbahn.



Ein weiterer durch $F_{{\rm B_\parallel},r}$ bedingter Effekt ist die von T. BRAHE (1546-1601) bemerkte jährliche Ungleichheit, die eine Ortsabweichung von bis zu $11' 10''$ zur Folge hat, um die der Mond dem ungestörten Ort Anfang Oktober voraus und Ende März zurück ist. Die jährliche Ungleichheit entsteht durch die Exzentrizität der Bahn des Systems Erde-Mond um die Sonne, die eine Variation der Störkraftkomponente $F_{{\rm B_\parallel},r}$ bedingt. Im Vergleich zur ungestörten Mondbahn bewirkt $F_{\rm B_\parallel},r$ im Durchschnitt eine Abschwächung der Anziehung der Erde auf den Mond (siehe auch Abb. 1). Diese Abschwächung verliert mit größer werdendem Abstand Erde-Sonne bis Anfang Juli (Aphel) an Stärke, wobei die daraus folgende Verringerung der Umlaufzeit (Vergrößerung der mittleren Bahngeschwindigkeit) gegenüber ihrem mittleren Wert noch bis Anfang Oktober anhält (akkumulierender Effekt). Mit wachsendem Abstand zur Sonne wächst dann der abschwächende Einfluß der Sonne wieder und führt zur Abbremsung des Mondes, welche sich wiederum akkumulierend auf den Umlaufzeitunterschied auswirkt, der Ende März sein zweites Maximum erreicht. Der größte Unterschied der Umlaufzeit beträgt ca. 10 min nach beiden Seiten des mittleren Wertes. Die mit der Abstandsvergrößerung verbundene Umlaufzeitverlängerung wird jedoch nicht wieder völlig ausgeglichen. Schuld daran ist die Abnahme der Exzentrizität der Erdbahn. So kommt es zu einer als säkulare Akzeleration (acceleratio (lat.): Beschleunigung) bezeichneten langsamen Verkürzung der Umlaufzeit des Mondes (ca. 0,5 s in 2000 a) bzw. einer Abweichung von $6''$/100 a vom elliptischen Mondort. Der Effekt der säkularen Akzeleration wurde von E. HALLEY (1656-1742) durch Vergleich der Messungen des siderischen Monats aus dem Altertum mit denjenigen seiner Zeit gefunden. Die Störkraftkomponente $F_{{\rm B_\parallel},t}$ bewirkt Abb. 1 zufolge zwischen Neumond und dem ersten Viertel eine Abbremsung und zwischen erstem Viertel und Vollmond eine Beschleunigung des Mondes. In der zweiten Hälfte des synodischen Monats wiederholt sich dann diese der Bahngeschwindigkeit aufgeprägte periodische Veränderlichkeit. Dieser als Variation bezeichnete Effekt kann die Länge des Mondes um bis zu $39' 30''$ (mehr als ein scheinbarer Monddurchmesser) verschieben. Trotz dieser deutlichen Positionsschwankung wurde der Effekt der Variation erst relativ spät durch den arabischen Astronom ABDUL-WEFA (939-998) bemerkt. Dies liegt vermutlich daran, daß die Variation in den Syzygien (Zeiten von Neu- und Vollmond) verschwindet und daher keine zeitliche Verschiebung der Finsternisse bewirkt. Die wohl auffallendste Störung der Mondbahn ist die durch $F_{\rm B_\perp}$ bewirkte Drehung der Knotenlinie (siehe Abb. 2). Diese erfolgt entgegen der Mondumlaufrichtung mit einer Periode von 18,6 a. Zu Erklärung dieses Effekts verwendet man am besten das Modell des "`Mondbahnkreisels"', d.h. einer rotierenden Kreisscheibe, die mit der Masse des Mondes gleichmäßig belegt ist. Da die störende Sonne i.a. nicht in der Mondbahnebene liegt, unterliegt der "`Mondbahnkreisel"' einer Präzession, die als Drehung der Knotenlinie bemerkbar wird. Auf weitere Kreiseleffekte soll hier nicht eingegangen werden. Auffallend ist der Effekt der Drehung der Knotenlinie dahingehend, daß sich die sommerlichen Kulminationshöhen des Mondes in Abhängigkeit von der Lage der Knotenpunkte (über den Zeitraum der halben Periode hinweg) deutlich unterscheiden. Liegt der aufsteigende Knoten im Frühlingspunkt, so addiert sich die Mondbahnneigung ($5,15^\circ$ bzgl. der Ekliptikebene) zur Schiefe der Ekliptik $(23,45^\circ)$ und der Sommervollmond kulminiert mit $\delta=-28,6^\circ$ (bei $\varphi=50^\circ$) in $\approx11^\circ$ Höhe. Befindet sich der aufsteigende Knoten nach der halben Periode jedoch im Herbstpunkt, beträgt die Deklination des Sommervollmondes nur $\delta=-18,3^\circ$ und seine Kulminationshöhe erreicht $\approx 22^\circ$. Die Drehung der Knotenlinie führt außerdem zu einer Modulation der Finsterniszyklen. So entsteht der Saroszyklus aus dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen eines synodischen und eines drakonitischen (auf die Knotenlinie bezogenen) Monats.


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Juergen Weiprecht 2002-10-29