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2.1.2.2 Kugelschalenmodell der Atmosphäre - allgemeine Theorie der Refraktion

Wir nehmen jetzt an, daß die Atmosphäre aus unendlich vielen Kugelschalen von infinitesimaler Dicke besteht, deren Zentrum der Erdmittelpunkt M ist (siehe Abb. 2).


Abb. 2: Kugelschalenmodell der Atmosphäre.


Der Betrag der differentiellen Refraktion d$R$, um den ein Strahl beim Übergang von der Schicht mit dem Brechungsindex $n$ in diejenige mit dem Brechungsindex $n$+d$n$ gebrochen wird (Einfallswinkel $e$, Brechungswinkel $e-{\rm d}R$, siehe Abb. 2), kann auf Grundlage des Brechungsgesetzes bestimmt werden:
\begin{displaymath}
(n+{\rm d}n) \cdot \sin(e-{\rm d}R) = n \cdot \sin e.
\end{displaymath} (11)

In analoger Weise zu Gleichung (1) läßt sich Gleichung (11) vereinfachen und man erhält:
\begin{displaymath}
{\rm d}R = \frac{{\rm d}n}{n} \cdot \tan e.
\end{displaymath} (12)


Die gesamte dem Lichtstrahl in der Atmosphäre erteilte Refraktion erhält man durch Integration von (12):
\begin{displaymath}
R = \int_{n_\infty = 1}^{n_1} \tan e \frac{{\rm d}n}{n}.
\end{displaymath} (13)



Zur praktischen Anwendung von (13) gilt es zunächst den Term $\tan e$ zu ersetzen. Dazu werden Beziehungen genutzt, die für das Dreieck ME$'$E (siehe Abb. 2) gültig sind. Da der Winkel ME$'$E = $180^\circ - e'$ ist und $\sin (180^\circ - e') = \sin e'$ gilt, kann nach dem Sinussatz formuliert werden:

\begin{displaymath}
\frac{\sin e'}{r} = \frac{\sin(e-{\rm d}R)}{r'}.
\end{displaymath} (14)


Aus den Beziehungen (11) und (14) ergibt sich die für zwei beliebige Atmosphärenschichten geltende Beziehung

\begin{displaymath}
r \cdot n \cdot \sin e = r' \cdot (n+{\rm d}n) \cdot \sin e'.
\end{displaymath}


Folglich kann für einen Beobachtungsort an der Erdoberfläche mit der Entfernung $a$ zum Erdmittelpunkt, dem lokalen Brechungsindex $n_1$ und der beobachteten scheinbaren Zenitdistanz $z_{\rm schein} = z_1$ formuliert werden:

\begin{displaymath}
r \cdot n \cdot \sin e = a \cdot n_1 \cdot \sin z_1.
\end{displaymath}


Unter Anwendung der Beziehung $\tan e = \frac{\sin e}{\sqrt{1-(\sin e)^2}}$ kann nun (13) umgeformt werden:


\begin{displaymath}
R = \int_{n_\infty = 1}^{n_1}
\frac{\frac{n_1 a}{n r} \sin...
...rt{1-(\frac{n_1 a}{n r} \sin z_1)^2}}
\frac{{\rm d}n}{n}.
\end{displaymath} (15)



Drückt man in (15) die Brechungsindizes $n_1$ und $n$ durch die entsprechenden Luftdichten $\rho_1$ und $\rho$ aus und führt die relative Dichte $x = \frac{\rho}{\rho_1}$ ein, so erhält man das sogenannte Refraktionsintegral in den Grenzen $x=0$ bis $x=1$. Um mit Hilfe dieses Integrals die Refraktion zu berechnen, muß man eine Annahme über die Änderung von $\rho$ mit der Höhe der atmosphärischen Schicht ($h = r-a$) machen. Neben Ausdrücken, die eine einfache Abhängigkeit $\rho(h)$ in Form einer linear ($\rho \sim -h$) oder exponentiell ( $\rho \sim \exp (-h)$) verlaufenden Dichteabnahme enthalten, existieren kompliziertere Zusammenhänge $\rho(h, p, T)$. In der Praxis kann das Refraktionsintegral analytisch durch eine Reihe, deren Glieder durch ungerade Potenzen von $\tan z_1$ gebildet werden, angenähert werden. Diese Reihenentwicklung bietet den Vorteil, daß sie unabhängig von dem zugrunde gelegten Dichteverlauf so schnell konvergiert, daß zur Berechnung der Refraktion bis $z_1 = 75^\circ$ ( $\Delta R \le 0,1''$) die ersten beiden Glieder ausreichen:

\begin{displaymath}
R = K_1 \cdot \tan z_1 - K_2 \cdot \tan^3 z_1.
\end{displaymath} (16)



Die Koeffizienten $K_1$ und $K_2$ werden allein durch die atmosphärischen Bedingungen am Beobachtungsort bestimmt. Für die als mittlere Refraktion $R_{1_0}$ bezeichnete Refraktion bei $T_{1_0}=273$ K und $p_{1_0}=101,325$ kPa (Beobachter bei Normal Null und $\varphi=45^\circ$, $\lambda_{\rm visuell}$) ist $K_1\approx 60,39''$ (was in etwa dem in Winkelsekunden ausgedrückten Wert von $(n_1-1)=(n_{1_0}-1)$ entspricht, man vergleiche mit (2)) und $K_2 \approx 0,07''$ (was als Korrektur für Zenitdistanzen größer als $45^\circ$ wirkt). Die Berücksichtigung der Abweichungen der bei der Beobachtung vorliegenden Werte $T_1$ und $p_1$ von den atmosphärischen Normbedingungen führt zu einer Verbesserung der mittleren Refraktion (siehe Refraktionstafel z.B. in [1]):
$\displaystyle R$ $\textstyle =$ $\displaystyle R_{1_0} \cdot (1 + A + B).$ (17)


Bei Zenitdistanzen größer als $75^\circ$ sollten auch Reihenglieder höherer Ordnung mitgenommen werden.

Neben der komplizierten analytischen Lösung des Refraktionsintegrals bietet sich in Anbetracht der verfügbaren modernen Rechentechnik eine numerische Lösung an. Diese numerische Integration erfolgt im Rahmen eines Strahlverfolgungsverfahrens (englisch: ray tracing), bei dem ein Strahl durch das Kugelschalenmodell geschickt wird und nach jedem Schritt entsprechend dem sich um $\Delta n_{i+1,i}=n_{i+1} - n_i$ verändernden Brechungsindex ein $\Delta R$ berechnet. Im einfachsten Falle der numerischen Integration des von der Höhe $h$ (Strecke) in der Atmosphäre abhängigen Verlaufes $R(h)$ ergibt sich $R$ mittels der summierten Rechteckregel:

\begin{displaymath}
R = \sum_{i = 1}^{i = N} \tan e_i \cdot \frac{\Delta n_{i+1,i}}{n_i},
\end{displaymath}

wobei $e_1 = z_1 = z_{\rm schein}$ ist. Ein großer Vorteil der numerischen Lösung liegt darin, daß der zugrunde zu legende Dichteverlauf der Atmosphäre im Prinzip beliebig sein kann, also z.B. auch in Tabellenform gegeben werden könnte. In dem für den vorliegenden Versuch bereitgestellten Ray-Tracing-Programm REFRAKT [11] wird der Dichteverlauf mit zunehmender Höhe aus dem exponentiellen Druckabfall f"ur die Temperatur am Beobachtungsort und aus einer Temperaturabnahme, die gleich dem 0,5fachen des adiabatischen Temperaturgradienten (das ist die Temperatur"anderung, die sich f"ur trockene Luft allein aus der Druck"anderung erg"abe) ist, bestimmt (13,6 K/km).


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Juergen Weiprecht 2002-10-29