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6.3 Spektralklassifikation

Die im optischen (klassischen) Spektralbereich aufgenommenen Sternspektren zeigen hinsichtlich ihres Aussehens eine bemerkenswerte Vielfalt. In sie versuchten bereits Ende des 19. Jahrhunderts E.C. PICKERING und Mrs. W.P. FLEMING eine gewisse Ordnung durch die Einführung der sogenannten Spektraltypen hineinzubringen. Als Klassifikationskriterien dienten das Auftreten und die Stärke von Absorptionslinien, die den kontinuierlichen Spektren überlagert sind. Die nach dem optischen Aussehen klassifizierten Spektren wurden entsprechend vorgegebener Kriterien mit Großbuchstaben bezeichnet. Als sich später herausstellte, daß das Aussehen eines Sternspektrums eine Widerspiegelung der in den Sternatmophären herrschenden Temperaturen darstellt, wurde die ursprünglich alphabetische Reihenfolge der Spektralklassen in die heute verwendete - und nur vor dem gerade erwähnten historischen Hintergrund verständliche - Buchstabenfolge verändert. Dabei wurde eine Anzahl von Spektralklassen gestrichen und die zunächst dort eingeordneten Sterne den verbliebenen Spektralklassen zugewiesen. Eine Verfeinerung des Klassifikationsschemas erfolgte durch die dezimale Unterteilung der einzelnen Spektralklassen.
Praktisch bestand die Spektralklassifikation in einem visuellen Vergleich der vorwiegend mit einem Objektiv-Prismenspektrographen aufgenommenen Sternspektren mit einer Folge von Standardspektren. (Auf diese Weise klassifizierte Miss A. CANNON Anfang dieses Jahrhunderts rund 360000 Spektren.) Die Ergebnisse sind in dem Henry-Draper-Katalog (abgekürzt HD Kat.) und seinen Erweiterungen (HDE) niedergelegt.
Die statistische Auswertung der Spektralklassifikation ergab, daß sich 99% der Sterne in die Spektraltypen der sogenannten Hauptsequenz einordnen lassen. In ihr ordnen sich die Spektralklassen wie folgt an 1cm
\begin{picture}(15,3.2)
\put(2.3,0){\large Q}
\put(8.2,0){\large S}
\put(2.8,...
...arbox[c]{1.3cm}{\large \ \ = C \\
$\overbrace{\rm N \ - \ R}$}}}
\end{picture}

Außer der Hauptfolge gibt es noch Nebenfolgen, mit den Spektralklassen P, W, Q, N, S und R, durch die Sterne mit spektralen Besonderheiten erfaßt werden.
Eine genauere Beschreibung des Aussehens der Linien wird durch an die Spektralklasse angehängte Symbole ermöglicht. Es bedeuten z.B.:

   n (nebulous) : verwaschene Linien,

nn : sehr verwaschene Linien,
s (sharp) : scharfe Linien,
e (emission) : Emissionslinien,
v (variable) : veränderliches Spektrum,
k (K-Linie) : starke interstellare CaII-Linien,
p (peculiar) : Besonderheiten, die nur ausführlich zu beschreiben sind.
Auch einige Präfixe wie z.B. w (white) oder d, D (dwarf) für die Kennzeichnung weißer Zwerge sind in Gebrauch. Die in der Literatur noch gelegentlich verwendete Bezeichnung "`frühe"' (O, B), "`mittlere"' (A, F, G) oder "`späte"' (K, M) Spektraltypen ist nur historisch zu verstehen und hat nichts mit der Entwicklung der Sterne zu tun.
Die bisher vorgestellte sogenannte Harvard-Klassifikation stellt eine eindimensionale Sequenz dar, in der die stellare Oberflächentemperatur der entscheidende physikalische Parameter ist. Eine vollständige physikalische Beschreibung einer Sternatmosphäre und damit des von ihr emittierten Spektrums (Kontinuum und Linien aller Ionisationsstufen) setzt neben der Temperatur auch die Kenntnis des Verlaufs des Elektronendruckes und der chemischen Zusammensetzung voraus. Näherungsweise wird davon ausgegangen, daß die chemische Zusammensetzung der Sterne etwa gleich ist. Dann bleibt als unbekannte variable Größe der Elektronendruck übrig. Die sich in einer Sternatmophäre einstellende Druckverteilung ergibt sich aus der Schwerebeschleunigung, die ihrerseits von den Massen und Radien der Sterne abhängt. So ist ein kleiner Stern von einer dichteren und weniger ausgedehnten Atmosphäre umgeben als ein großer Stern gleicher Masse, dessen Atmosphäre wesentlich ausgedehnter ist, und in der ein deutlich geringerer Druck herrscht.




Abb. 2: Schema für eine eindimensionale Grobklassifikation. Die Abarbeitung der Fragen beginnt im Diagramm oben links. Mit der Angabe der Verhältnisse von Linien bzw. deren Wellenlängen sind symbolisch deren Linientiefen gemeint (nach [5]).
Für die in beiden - als Beispiel herangezogenen - Atmosphären ablaufenden Wechselwirkungsprozesse zwischen den Photonen und Atomhüllen bedeutet das, daß in der dichteren Atmosphäre die Stoßverbreiterungsprozesse bei der Linienentstehung eine wesentliche Rolle spielen, was zu einem verwaschenen Aussehen der Absorptionslinien führt. Nebenbei bemerkt trägt auch eine eventuelle rasche Rotation der Sterne zu einer Verbreiterung der Linienprofile bei.
Die am Yerkes Observatorium von W.W. MORGAN und P.C. KEENAN entwickelte MK-Klassifikation berücksichtigt die Auswirkungen der gerade beschriebenen Druckunterschiede auf die Profile der Spektrallinien als Kriterien. Die Einordnung der Spektren erfolgt durch Schätzungen von Linienstärke-Verhältnissen im Vergleich zu einem Satz von unter möglichst gleichen Bedingungen aufgenommenen Spektren von Standardsternen. Die Kriterien sind für eine Lineardispersion von 12,5 nm/mm bei der H${\alpha}$-Linie ausgelegt. Das MK-System hat zwar eine physikalische Grundlage, ist aber mit der Vorgabe der Lineardispersion instrumentell festgelegt.
Das zweidimensionale MK-System liefert größenordnungsmäßige Aussagen über die Radien der klassifizierten Sterne. Der Unsicherheit der Eichung der Kriterien trägt man dadurch Rechnung, daß Radienintervalle definiert werden. Sind Radius und Temperatur eines Sternes bekannt, so läßt sich aus diesen Größen in Verbindung mit dem STEFAN-BOLTZMANNschen Gesetz in guter Näherung die von der Sternoberfläche emittierte Gesamtstrahlung, die Leuchtkraft berechnen. Den eingeführten Radienintervallen entsprechen Leuchtkraftintervalle, für die die Bezeichnung Leuchtkraftklasse eingeführt wurde. Im Einzelnen werden sechs durch römische Ziffern gekennzeichnete Leuchtkraftklassen unterschieden:


   Ia -0 : Über-Überriesen,

I : Überriesen,
II : helle Riesen,
III : normale Riesen,
IV : Unterriesen,
V : Zwergsterne (Hauptreihensterne),
VI : Unterzwerge.
In einzelnen Fällen werden Sternen auch Zwischentypen von Leuchtkraftklassen zugeordnet. Die MK-Spektraltypen einiger bekannter Sterne sind z.B.: Sonne: G2 V; ${\alpha}$ Cyg ("`Deneb"'): A2 Ia; ${\alpha}$ Boo ("`Arctur"'): K2 IIIp; ${\alpha}$ Aql ("`Atair"'): A7 IV-V. Für die Klassifikation muß eine ganze Anzahl von Kriterien herangezogen werden, da das Auftreten der Spektrallinien an bestimmte Bereiche der Ionisationstemperatur geknüpft ist. In Tabelle 1 sind einige der Kriterien symbolisch durch die Angabe der Ionisationsstufen der betreffenden Elemente und die Wellenlängen (in nm) der zugehörigen Linien zusammengestellt. Die Spektralklassifikation besteht praktisch in der Bestimmung der Stärkeverhältnisse von den in Tabelle 1 angegebenen Linienpaaren. Beschränkt man sich zunächst auf eine grobe eindimensionale Spektralklassifikation, dann kann man nach dem in Abb. 2 dargestellten Schema vorgehen. Bei einer zweidimensionalen Klassifikation ist im Prinzip genauso zu verfahren, allerdings dann unter Einschluß der Leuchtkraftkriterien.
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Juergen Weiprecht 2002-10-29