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6.4 Bearbeitung der spektralphotometrischen Daten

Für die Bearbeitung eines registrierten Spektrums sind einige Reduktionsschritte erforderlich. Der auf den Empfänger (z.B. Photoplatte, CCD) auftreffende spektrale Strahlungsstrom ${\it f}(\lambda)$ ist beim Durchgang durch die Erdatmosphäre, durch die Optik des Teleskops und des Spektrographen sowie durch die wellenlängenabhängige Empfindlichkeit des verwendeten Empfängers verändert worden. Bezeichnet man die Durchlaßfunktion der Erdatmosphäre und der Optik mit ${\it a}(\lambda)$, ${\it o}(\lambda)$ und die Empfindlichkeitsfunktion des Empfängers mit ${\it d}(\lambda)$, so läßt sich der Zusammenhang mit dem Intensitätsverlauf der vom Empfänger aufgenommenen Strahlung und der an der Obergrenze der Erdatmosphäre auftreffenden Sternstrahlung ${\it f}_{\rm iMS}(\lambda)$ durch die Beziehung
\begin{displaymath}
f(\lambda ) \ = \ [a(\lambda )~o(\lambda )~d(\lambda )]~f_{\rm iMS}(\lambda)
\end{displaymath} (3)

beschreiben, wobei ${\it a}(\lambda)$, ${\it o}(\lambda)$ und ${\it d}(\lambda)$ $\neq$ 0 für $\lambda_i \leq \lambda \leq \lambda_j$. Der genaue Verlauf der Funktionen ${\it a}(\lambda)$, ${\it o}(\lambda)$ und ${\it d}(\lambda)$ kann nur empirisch bestimmt werden. Speziell die spektrale Durchlässigkeit der Erdatmosphäre schränkt die Beobachtbarkeit der auftreffenden Strahlung auf einige Wellenlängenbereiche - die sogenannten "`Fenster"' - ein. Dagegen spielen die Funktionen ${\it a}(\lambda)$, ${\it o}(\lambda)$ wegen der Vielfalt einsetzbarer Materialien gegenwärtig nicht mehr eine so wichtige Rolle. Falls bei den Aufnahmen noch Photoplatten verwendet wurden, ist aus den meßbaren Schwärzungen ${\rm S}(\lambda)$ mit Hilfe der Schwärzungskurven (siehe Aufgabe Nr. 5 ARGELANDERsche Stufenschätzungen) zunächst ${\it f}(\lambda)$ zu bestimmen.
Eine weitere Korrektur kann sich ergeben, wenn sich der zu untersuchende Stern hinter interstellarem Staub befindet. Er bewirkt beim Durchgang der Sternstrahlung ${\it f}_{\rm S}(\lambda)$ eine wellenlängenabhängige "`Extinktion"' (= Absorption + Streuung) ${\it e}(\lambda)$. Für sie gibt es einen empirischen Mittelwert, mit dem der gemessene Strahlungsstrom ${\it f}_{\rm iMS}(\lambda)$ korrigiert werden kann
\begin{displaymath}
f_{\rm S}(\lambda ) \ = \ e(\lambda )~f_{\rm iMS}(\lambda).
\end{displaymath} (4)


Tabelle 1: Kriterien für die Bestimmung der Spektraltypen und Leuchtkraftklassen
Spektraltyp Spektraltyp- Spektraltyp Leuchtkraftkriterien
  Bestimmung    
O3 $\dots$ O9,5 He I 447,1/He II 454,1 O stars Si IV 408,9, 411,6/
      He I 412,0, 414,3
B0 $\dots$ B1 Si III 455,2/Si IV 408,9 O9 $\dots$ B3 (Si IV, He I 411,6 $\dots$ 21)/
      He I 414,4
B2 $\dots$ B8 Si II 412,8 $\dots$30/He I 412,1 B0 $\dots$ B3 N II 399,5/He II 400,9
B8 $\dots$ A2 He I 447,1/Mg II 448,1 B1 $\dots$ A5 Flügel der Balmerlinien
  He I 402,6/Ca II 393,4    
A2 $\dots$ F2 Mn I 403,0 $\dots$ 34/412,8 $\dots$ 32,    
  430,0/438,5 F0 $\dots$ F8 417,2/Ca I 422,7
F2 $\dots$ K CH 430,0(G-Band)/H$\gamma $434,1    
F5 $\dots$ G5 Fe I 404,5/H$\delta$410,1, F2 $\dots$ K5 (Fe I 404,5, Fe I 406,3,
      Ca I 422,7)/Sr II 407,7
  Ca I 422,7/H$\gamma $4341 G5 $\dots$ M Diskontinuität bei 421,5
G5 $\dots$ K0 Fe I 414,4/H$\delta$ 410,1    
K0 $\dots$ K5 Ca I 422,7/432,5, 429,0/430,0 K3 $\dots$ M 421,5/426,0, Ca I anwachsend


Im optischen Spektralbereich wächst der Betrag von ${\it e}(\lambda)$ in Richtung kürzerer Wellenlängen stark an. Die Folge davon ist, daß die Strahlung "`verfärbt"' wird, d.h. eine "`Verrötung"' der Sternstrahlung auftritt. Genau genommen kann man den Einfluß der interstellaren Extinktion auf die beobachtete Sternstrahlung nur in schrittweiser Näherung eliminieren.
Die in Abb. 3 dargestellten Energieverläufe umfassen das optische Fenster der Erdatmosphäre und repräsentieren die von den gerade beschriebenen Einflüssen korrigierten spektralen Strahlungsflüsse beispielhaft für einige Spektraltypen. Die beachtliche Vielfalt der Verläufe ist im wesentlichen eine Folge der in den Sternatmophären herrschenden Temperaturen. Das Auftreten der Absorptionslinien und -banden ist ein sichtbarer Hinweis darauf, daß die Sterne nur in grober Näherung als "`Schwarze Strahler"' angesehen werden können. Bemerkenswert ist auch, daß sich das Maximum der spektralen Energieabstrahlung von der obersten zur untersten Kurve von kürzeren in Richtung längerer Wellenlängen verlagert. Mit der vereinfachenden Annahme, daß Sterne Schwarze Strahler sind, ließe sich aus der Wellenlänge der maximalen Energieabstrahlung unter Anwendung des "`WIENschen Verschiebungsgesetzes"' die "`effektive"' Temperatur des Sternes bestimmen. (Als effektive Temperatur wird die Temperatur eines Sternes bezeichnet, die ein gleichgroßer Schwarzer Strahler haben muß, um pro Flächeneinheit die gleiche Energiemenge abzustrahlen.)
Auffällig im Spektrum 2 - weniger deutlich im Spektrum 3 - ist der steile Abfall des Strahlungsstromes im Wellenlängenbereich ab 370 nm in Richtung kürzerer Wellenlängen. Dieser als "`BALMER-Sprung"' bezeichnete Abfall rührt von der Überlagerung zweier Effekte her: einmal rücken die BALMERlinien mit wachsender Hauptquantenzahl ${\it n}$ immer näher zusammen und überlagern sich schließlich bei endlicher Dispersion, zum anderen schließt sich an die Linien bei der Ionisationsgrenze des Wasserstoffs ein Absorptionskontinuum an, das einen sprungartigen Abfall des Strahlungsstromes bei ${\lambda} \approx$ 360 nm verursacht.
Im Spektrum 1 (einem O5 V Stern) ist der BALMERsprung kaum erkennbar. Die physikalische Erklärung dafür besteht darin, daß infolge der hohen Temperatur des O5 V Sternes der Wasserstoff praktisch vollständig ionisiert ist und damit die Anzahl der anregungsfähigen (von ${\it n}$ = 2 aus) Wasserstoffatome entsprechend gering ist. In den Spektren 4 und 5 ist der Balmersprung ebenfalls kaum zu erkennen. In diesen Fällen ist die Temperatur in den Sternatmophären schon so gering, daß nur noch wenige Wasserstoffatome sich im angeregten Energieniveau mit ${\it n}$ = 2 befinden, von dem aus durch Photonenabsorption eine Höheranregung und damit verbunden eine Verstärkung der Balmerlinien erfolgen könnte.

Tabelle 2: Wellenlängen verschiedener Spektrallinien und -banden von wichtigen Elementen
                 
$\lambda$ (nm) Bezeichn. $\lambda$ (nm) Bezeichn. $\lambda$ (nm) Bezeichn.
                 
Wasserstoff (H) Calcium (Ca) Titanoxid (TiO) $^{2)}$
656,3 H $\alpha, C$ $\odot$ 643,9 Ca I   516,7 TiO  
486,1 H $\beta, F$ $\odot$ 585,7 Ca I   499,9 TiO  
434,0 H $\gamma, f$ $\odot$ 558,8 Ca I   495,5 TiO  
410,2 H $\delta, h$ $\odot$ 527,0 Ca I   484,7 TiO  
397,0 H $\epsilon$ $\odot$ 501,6 Ca I   480,4 TiO  
388,9 H $\zeta$   445,5 Ca I   476,1 TiO  
383,5 H $\eta $   440,6 Ca I   466,7 TiO  
379,8 H $\Theta$   438,3 Ca I   462,6 TiO  
377,1 H $\iota $   432,5 Ca I   458,4 TiO  
375,0 H $\kappa$   430,2 Ca I   454,8 TiO  
373,4 H 13   429,0 Ca I   450,6 TiO  
372,2 H 14   422,7 Ca I, $g$ $\odot$ 446,2 TiO  
371,2 H 15   417,1 Ca I   442,2 TiO  
370,4 H 16   396,8 Ca II H $\odot$ 439,5 TiO  
369,7 H 17   393,4 Ca II K $\odot$ 435,2 TiO  
369,2 H 18         431,5 TiO  
      Natrium (Na) 417,4 TiO  
Helium (He) 589,6 Na I D1 $\odot$      
631,1 He II $\odot$ 589,0 Na I D2 $\odot$ Strontium (Sr)
587,5 He I         434,0 Sr II  
501,5 He I   Stickstoff (N) 432,5 Sr II  
492,1 He I   567,9 N II   432,5 Sr II  
449,2 He I   500,5 N II   430,5 Sr II  
447,1 He I   399,4 N II   407,7 Sr II  
438,7 He I              
414,4 He I   Sauerstoff O Eisen (Fe)
402,6 He I   686,8 O$_{2} \ ^{1)}$   441,5 Fe I, $l_3$ $\odot$
400,9 He I   615,8 O I   440,5 Fe I, $l_2$ $\odot$
382,0 He I   464,9 O II   438,3 Fe I, $l_1$ $\odot$
      441,5 O II   437,0 Fe I  
Magnesium (Mg) 411,9 O II   430,8 Fe I, $G$ $\odot$
518,4 Mg I, $b_1$ $\odot$ 374,9 O II   427,1 Fe I $\odot$
517,3 Mg I, $b_2$         426,0 Fe I  
516,7 Mg I, $b_4$   G-Band 421,5 Fe I  
448,1 Mg II   430,8 (Fe, Ti, Ca) $\odot$ 516,9 Fe I, $b_3$ $\odot$
383,8 Mg I         414,4 Fe I  
      Mangan (Mn) 404,5 Fe I  
Titanium (Ti) 404,1 Mn I   381,5 Fe I  
625,8 Ti I   403,0 Mn I        
503,5 Ti I   380,6 MnI   Silicium (Si)
498,1 Ti I         455,2 Si III  
461,7 Ti I         413,0 Si II  
453,3 Ti I              


Erläuterungen:
Die zusammengestellten Linien betreffen in den meisten Fällen den neutralen Zustand der Elemente. Bei Atomen wird der Ionisationsgrad durch nachgestellte römische Ziffern charakterisiert (z.B.: Ca II: einfach ionisiertes Calcium, aber Na I: neutrales Natrium).
Bei den Bezeichnungen sind auch die von FRAUNHOFER eingeführten genannt.
Mit dem Sonnensymbol ($\odot$ ) sind die im Sonnenspektrum starken Linien markiert.
$^{1)}$ Erdatmosphäre
$^{2)}$ angegeben sind die Wellenlängen der Bandenköpfe



Abb. 3: Relative Strahlungsflüsse einiger Hauptreihensterne verschiedener Spektraltypen. Die Normierung der Spektren erfolgte bei 420 bzw. 630 nm bei den roten Sternen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die Spektren auf der Ordinate verschoben dargestellt. Im Einzelnen bedeuten: 1: Stern HD 242908, Spektraltyp O5 V; 2: HD 9972, A8 V; 3: BD 31$^{\circ}$ 769, F6 V; 4: HD 5351, K4 V; 5: BD 63$^{\circ}$ 137, M1 V (nach [1])
Die am Beispiel der unterschiedlichen Stärke der BALMERlinien des Wasserstoffs vorgenommene Erklärung des Aussehens der Sternspektren der Hauptfolge läßt sich in modifizierter Form auch auf die anderen chemischen Elemente ausdehnen. Damit ergibt sich insgesamt die Möglichkeit, aus dem Aussehen der Sternspektren Schlüsse auf die eigentlich interessanten physikalischen Bedingungen in den Sternatmosphären zu ziehen.
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Juergen Weiprecht 2002-10-29