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5.2 Argelandersche Stufenschätzmethode

Die von ARGELANDER für das Schätzen von Sternhelligkeiten entwickelte Methode läßt sich ohne Schwierigkeiten auf das Schätzen von Schwärzungen auf Photoplatten übertragen. Das Prinzip besteht im Erkennen von möglichst geringen Helligkeits- bzw. Schwärzungsunterschieden. Sie werden quantitativ nach einer Gedächtnisskala in Stufen ausgedrückt. Sie haben folgende Bedeutung:
0. Stufe:
Beide Sterne erscheinen gleich hell, oder abwechselnd der eine oder der andere Stern
etwas heller.
1. Stufe:
Beide Sterne erscheinen auf den ersten Blick gleich hell. Bei aufmerksamer Betrachtung
erscheint jedoch mit wenigen Ausnahmen einer der beiden gerade merkbar heller
als der andere.
2. Stufe:
Wie bei 1. aber der eine Stern erscheint stets und unzweifelhaft heller als der andere.
3. Stufe:
Ein Stern erscheint auf den ersten Blick bereits heller als der andere.
4. Stufe:
Ein Stern ist wesentlich heller als der andere.
Nach ARGELANDER schreibt man das Ergebnis der Schätzung in folgender Weise: Bezeichnung für den helleren Stern, Anzahl der Stufen $s_i$, Bezeichnung für den schwächeren Stern. (Beispiel: a 3 b, d.h. der Stern a ist um drei Stufen heller als der Stern b.) Bei der Schätzung der unbekannten Helligkeit eines Sterns, z.B. eines Veränderlichen V, vergleicht man grundsätzlich diesen mit jeweils einem helleren und einem schwächeren Stern und schreibt dann etwa a $s_1$ V $s_2$ b, wobei $s_1$ und $s_2$ die Stufen angeben. Die Helligkeit des Veränderlichen $m_v$ ergibt sich dann aus den Beziehungen
$\displaystyle m_v$ $\textstyle =$ $\displaystyle m_a + \frac{s_1}{s_1 + s_2} (m_b - m_a) \ \ \ {\rm bzw.}$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle m_b - \frac{s_2}{s_1 + s_2} (m_b - m_a).$ (5)

(Beispiel: a 3 V 2 b bedeutet, daß der Veränderliche um
\begin{displaymath}
\frac{3}{3+2} = \frac{3}{5}
\end{displaymath} (6)

der bekannten Helligkeitsdifferenz zwischen Stern a und b schwächer ist als Stern a.). Der Vorteil der ARGELANDERschen Methode beruht neben ihrer Einfachheit mit darauf, daß sich die Stufenhöhe bei geübten Beobachtern als eine persönliche Konstante zwischen 0,1 mag und 0,07 mag erweist. Durch die Einpassung der unbekannten Helligkeit eines Sterns zwischen zwei bekannten Helligkeiten in der Form a $s_1$ V $s_2$ b erreicht man zusätzlich, daß das Schätzergebnis unabhängig von der individuellen Stufenhöhe wird. Mit der inzwischen breiten Verfügbarkeit elektronischer Sternkataloge auch für Sterne geringer Helligkeiten wird es heutzutage möglich, eine wesentlich größere Zahl von Sternen in der Umgebung eines Veränderlichen als Vergleichssterne zu nutzen. Dadurch kann eine viel dichtere Skala von Vergleichshelligkeiten genutzt werden, wodurch die Genauigkeit der Helligkeitsbestimmung für den Veränderlichen deutlich verbessert wird. Allerdings sind viele dieser Sternkataloge noch in der Entwicklung bzw. wurden automatisch erstellt, so daß die photometrischen Daten oft noch fehlerbehaftet sind. Um Fehler in den Kataloghelligkeiten einzelner Vergleichssterne ausgleichen und korrigieren zu können, sollten deshalb nicht nur zwei Vergleichssterne verwendet werden, um die Helligkeit des Veränderlichen einzugrenzen a $s_1$ V $s_2$ b, sondern nach Möglichkeit vier Vergleichssterne a $s_1$ b $s_2$ V $s_3$ c $s_4$ d. Mit dieser erweiteren ARGELANDERschen Stufenschätzmethode wird es möglich, Katalogfehler zu erkennen und den Katalog mit Hilfe der Schätzungen nach und nach zu verbessern. Die Auswertung der Beobachtung erfolgt am günstigsten graphisch. Sind zur Helligkeitsbestimmung eines Sterns $n$ Vergleichssterne (im allg. $n$ = 4 oder 5) verwendet worden, mit $m_1 < m_2 < m_3 \dots m_n$, dann werden jeweils für einen Beobachtungsabend die gemittelten Stufen für die Helligkeitsdifferenzen $m_2 - m_1, m_3 - m_2, \dots , m_n - m_{n-1}$ berechnet. Weist man dem hellsten Stern, a, die Stufe $s$(a) = 0 zu, so erhält man durch Addition der entsprechenden Stufendifferenzen die Stufenwerte der übrigen Vergleichssterne. Trägt man diese Stufenwerte über den zugehörigen scheinbaren Helligkeiten graphisch auf und zeichnet die ausgleichende Gerade ein, so definiert diese die Beziehung zwischen der persönlichen Stufenwertskala und der astronomischen Größenklassenskala. Die gesuchte Helligkeit des unbekannten Sterns (Veränderlichen) läßt sich damit auch graphisch ermitteln. Die in Abb. 3. dargestellte Beziehung zwischen den Vergleichssternhelligkeiten und Stufenwerten verwendet die in Tabelle 1 als Beispiel enthaltenen Daten.
Tabelle 1: Beispiel für die Bestimmung des persönlichen Stufenwertes
Vergleichssterne Helligkeiten Differenzen der Mittelwert Summe der
    Helligkeiten der Stufen Stufen
         
a 11,61     0
b 12,13 0,52 3,4 3,4
c 12,44 0,31 2,8 6,2
d 13,07 0,63 4,1 10,3
e 13,26 0,19 1,6 11,9


Sollte der Veränderliche während eines Minimums nur mit einem helleren Vergleichsstern geschätzt werdenkönnen, so läßt sich bei Kenntnis der individuellen Stufenhöhe trotzdem seine Helligkeit berechnen. Bei der Anwendung der ARGELANDERschen Stufenschätzmethode können insbesondere bei Helligkeitsschätzungen am Teleskop verschiedenartige Fehlerquellen auftreten. Im einzelnen handelt es sich um:
a)
Zenitdistanzfehler: Die Genauigkeit eines Helligkeitsvergleiches sinkt wegen Ermüdungserscheinungen bei angespannter Körperhaltung beträchtlich ab; dies trifft vor allem bei kleinen Zenitdistanzen der Sterne zu.
b)
Positionswinkelfehler: Durch die unterschiedliche Empfindlichkeit der Netzhaut wird die Helligkeitsdifferenz zweier Sterne je nach ihrer relativen Position im Gesichtsfeld unterschiedlich eingeschätzt. Zur Reduktion dieses Fehlers sollte man die zu schätzenden Sterne jeweils an die gleiche Stelle des Gesichtsfeldes bringen und jeden Stern einzeln mit dem Auge fixieren.
c)
Intervallfehler: Die Genauigkeit eines Helligkeitsvergleiches verringert sich mit zunehmender Differenz der zu vergleichenden Sternhelligkeiten. Dieser Fehler läßt sich nachträglich korrigieren, indem man den einzelnen Vergleichen der Helligkeitsdifferenz entsprechende Gewichte zuteilt.
d)
Distanzfehler: Mit wachsendem Abstand der zu vergleichenden Sterne wächst die Ungenauigkeit.
e)
Umfeldfehler: Die Helligkeit eines Sterns wird zu schwach geschätzt, wenn er sich in der Nachbarschaft eines helleren befindet oder wenn der Himmelshintergrund durch Mond- oder Streulicht aufgehellt ist.
f)
Farbfehler: Sterne mit großem positiven Farbindex, also rote Sterne, werden in der Dämmerung oder bei mondhellem Himmel vielfach zu hell geschätzt, was auf die stärkere Beteiligung der farbempfindlichen Zäpfchen in der Netzhaut zurückzuführen ist.

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Juergen Weiprecht 2002-10-29