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12.2 Physikalische Ursachen der Randverdunklung

Qualitativ formuliert, wird die Randverdunklung durch zwei Effekte verursacht. So hat zum einen die Photosphäre der Sonne nur eine geringe geometrische Ausdehnung verglichen mit dem Sonnenradius. Zum anderen liegt in der Photosphäre ein Temperaturgefälle - ein Temperaturgradient - vor. Die oberhalb der Photosphäre liegenden Atmosphärenschichten haben eine so geringe Dichte, daß ihr Beitrag zur emittierten sichtbaren Strahlung vernachlässigbar klein ist. Die aus tieferliegenden Schichten der Sonne emittierte Strahlung wird von der Photosphäre vollständig absorbiert. Der Energietransport in der Sonnenatmosphäre, in der keine Energiefreisetzung mehr stattfindet, erfolgt fast ausschließlich durch Strahlung, während die Konvektion und Wärmeleitung durch Gase keine Rolle spielen. Die von einer bestimmten Photosphärenschicht emittierte Strahlung wird von der darüberliegenden Gasschicht teilweise absorbiert. Zum Sonnenrand hin wird der Blick in die Photosphäre immer schräger und die Wegstrecke, die die Strahlung in dieser Schicht zurücklegt, geometrisch immer länger. Da die Absorption der Strahlung aber exponentiell mit der Wegstrecke zunimmt, wächst der Betrag der absorbierten Strahlung immer stärker an. Im Vergleich zur Scheibenmitte der Sonne wird zum Rand hin die Strahlung aus höheren und damit auch kühleren Schichten der Sonne empfangen (s. Abb.1)


Eine quantitative Erklärung der beobachteten Randverdunklung muß alle Teilbeträge der Strahlung aus den in Frage kommenden Schichten für die Aufsummierung zur Gesamtstrahlung berücksichtigen. Hierbei ist auch wesentlich, daß die Energieverteilung der aus verschieden tiefen Schichten der Photosphäre stammenden Strahlung mit den dort lokal herrschenden Temperaturen variiert. Wenn die Absorptionseigenschaften der Sternmaterie bekannt sind, besteht die Möglichkeit, aus der beobachteten Wellenlängenabhängigkeit der Randverdunklung Aussagen über die physikalischen Bedingungen, insbesondere den Temperatur- und Dichteverlauf in der Photosphäre zu gewinnen. Die Schichtdicke der Sonnenphotosphäre beträgt nur etwa 200 km, das ist ein verschwindend kleiner Wert gegenüber dem Sonnenradius. Für die Behandlung des Strahlungsgleichgewichts kann daher die Photosphäre als planparallele Schicht angenähert werden. Es wird ein Flächenelement betrachtet, das sich in einer geometrischen Tiefe $t$ befindet (ihr Nullpunkt ist beliebig wählbar), und dessen Normale gegen die Sonnenoberfläche um den Winkel $\vartheta$ geneigt ist (siehe Abb. 2). Durch das Flächenelement strömt in den Kegel mit dem Raumwinkel d$\omega$ im Frequenzintervall $\nu$ bis $\nu + {\rm d} \nu$ pro Zeiteinheit ($s$) die Energie
\begin{displaymath}
I_{\nu} (t, \vartheta) \ {\rm d}f \ {\rm d}\omega {\rm d}\nu \ .
\end{displaymath} (1)

Dabei ist mit $I_{\nu}$ die Strahlungsintensität bezeichnet. Von der in Richtung $\vartheta$ abgestrahlten Energie geht auf der Wegstrecke d$s$ der Betrag

\begin{displaymath}
\kappa _{\nu} I_{\nu} (t, \vartheta) {\rm d}f {\rm d}\nu {\rm d}s
\end{displaymath}

verloren. Hierbei ist $\kappa_{\nu}$ [m$^{-1}$] der frequenzabhängige kontinuierliche Absorptionskoeffizient der Sternmaterie. In dem Strahlenkegel mit dem Raumwinkel d$\omega$ wird andererseits aus dem Volumenelement d$f \cdot $d$s$ richtungsunabhängig ein Energiebetrag

\begin{displaymath}
\varepsilon_{\nu} {\rm d}f {\rm d}s {\rm d}\omega {\rm d}\nu
\end{displaymath}

emittiert. $\varepsilon_{\nu}$ ist der hierfür maßgebliche Emissionskoeffizient. Die Bilanzgleichung für das betrachtete Volumenelement ergibt sich aus der Differenz von absorbierter und emittierter Energie zu
\begin{displaymath}
{\rm d}I_{\nu} (t, \vartheta) \ = \ - \kappa_{\nu} I_{\nu} (t, \vartheta)
{\rm d}s + \varepsilon_{\nu} {\rm d}s . \qquad
\end{displaymath} (2)

Das Verhältnis des Emissions- zum Absorptionskoeffizienten definiert die sogenannte Ergiebigkeit
\begin{displaymath}
J_{\nu} (t, \vartheta) \ = \ \frac{\varepsilon_{\nu}}{\kappa_{\nu}} .
\end{displaymath} (3)

Für den Fall thermischen Gleichgewichts (d $I_{\nu}(t, \vartheta) \ = \ 0)$ ist sie nach dem Kirchhoffschen Satz $J_{\nu} \ = \ \frac{\varepsilon_{\nu}}
{\kappa_{\nu}}$ gleich der Strahlungsintensität. Durch die Einführung der optischen Tiefe $\tau_{\nu}$
\begin{displaymath}
{\rm d}\tau_{\nu} \ = \ \kappa_{\nu} {\rm d}t \qquad und \q...
...u_{\nu} \ = \ \int\limits_{-\infty}^{t} \kappa_{\nu} {\rm d}t
\end{displaymath} (4)


wird der Absorptionskoeffizient $\kappa_{\nu}$ [m$^{-1}$] der Sternmaterie mit der geometrischen Tiefe verknüpft. Außerdem gilt (s. Abb. 2)
\begin{displaymath}
{\rm d}s \ = \ \frac{-{\rm d}t}{\cos \vartheta} .
\end{displaymath} (5)

Setzt man die letzte Beziehung und (4.1) in die Bilanzgleichung (2) ein, so erhält man schließlich die sogenannte Strömungsgleichung
\begin{displaymath}
\cos \vartheta \frac{{\rm d}I_{\nu}(\tau_{\nu}, \vartheta)}...
...
= \ I_{\nu} (\tau_{\nu}, \vartheta) - J_{\nu}(\tau_{\nu}) .
\end{displaymath} (6)

Die hier noch frequenzabhängige Strömungsgleichung kann auf die Gesamtstrahlung umgeschrieben werden, wenn man $\kappa_{\nu}$ durch einen geeigneten Mittelwert $\bar{\kappa}$ annähert. Die physikalische Rechtfertigung für eine derartige Vereinfachung besteht darin, daß in der Sonnenphotosphäre die Frequenzabhängigkeit von $\kappa_{\nu}$ in einem breiten, den optischen Bereich einschließenden Spektralbereich nur schwach ausgeprägt ist. Man spricht im Rahmen dieser Näherung
\begin{displaymath}
\cos \vartheta \frac{{\rm d}I (\tau, \vartheta)}{{\rm d}\tau} \ = \
I (\tau, \vartheta) - J(\tau)
\end{displaymath} (7)

von einer sogenannten grauen Atmosphäre. Für die Beschreibung der physikalischen Verhältnisse in einem Volumenelement der Photosphäre ist noch wesentlich, daß in ihr keine Energiefreisetzungsprozesse ablaufen. Das bedeutet, jedes Volumenelement emittiert genau so viel Strahlung, wie es absorbiert, oder anders formuliert: der Gesamtstrahlungsstrom ist unabhängig von der optischen Tiefe $\tau$. Die pro Zeiteinheit durch ein Einheits-Flächenelement durchtretende Strahlungsenergie $S$ ergibt sich aus
\begin{displaymath}
S \ = \ \int I(\vartheta) \cos \vartheta {\rm d}\omega ,
\end{displaymath} (8)

wobei die Integration über den gesamten Raumwinkel (4$\pi$) zu erstrecken ist. Im Ergebnis der Integration erhält die sogenannte Kontinuitätsgleichung die Gestalt
\begin{displaymath}
J (\tau) \ = \ \frac{1}{2} \int I (\tau, \vartheta) \sin \vartheta
{\rm d}\vartheta .
\end{displaymath} (9)

Dieser Ausdruck kann nun in Beziehung (7) eingesetzt werden
\begin{displaymath}
\cos \vartheta \frac{{\rm d}I (\tau, \vartheta)}{{\rm d}\ta...
...} \int I (\tau, \vartheta) \sin \vartheta
{\rm d}\vartheta .
\end{displaymath} (10)



Auf der Strömungsgleichung (6) und der Kontinuitätsgleichung (9) beruht die Theorie des Strahlungsgleichgewichts. Gesucht ist die Funktion $I$, um eine Lösung für die Ergiebigkeit $J$ zu bekommen. Empirisch ist die Funktion $I$ für die Gesamtstrahlung an der Obergrenze der Photosphäre ($\tau = 0$) bekannt, da $I(0, \vartheta)$ - von der Mitte der Sonnenscheibe ( $\vartheta = 0^{\circ}$) bis zum Rand ( $\vartheta =
90^{\circ}$) - gemessen werden kann. Ein tragfähiger empirischer Ansatz ist
\begin{displaymath}
I(0, \vartheta) \ = \ a + b \cos \vartheta
\end{displaymath} (11)

an der Oberfläche der Photosphäre, der sicher auch für tieferliegende Schichten in ihr ($\tau > 0$)
\begin{displaymath}
I (\tau, \vartheta) \ = \ A + B \cos \vartheta
\end{displaymath} (12)

gilt. Bei diesem Ansatz sind $A$ und $B$ nur von $\tau$, aber nicht von $\vartheta$ abhängig. Zur Bestimmung der Funktionen $A(\tau)$ und $B(\tau)$ wird der Ausdruck für die Ergiebigkeit (9) in die Strömungsgleichung (7) eingesetzt. Die Bestimmung der Integrationskonstanten erfolgt mit der Randbedingung, daß an der Obergrenze der Photosphäre ($\tau = 0$) der Einstrahlungsstrom verschwinden soll. Danach ist
\begin{displaymath}
I (\tau, \vartheta) \ = \ \frac{S}{2 \pi} \left(1 + \frac{3}{2} \tau +
\frac{3}{2} \cos \vartheta \right)
\end{displaymath} (13)

und
\begin{displaymath}
J (\tau ) \ = \ \frac{S}{2\pi} \left( 1 + \frac{3}{2} \tau \right) .
\end{displaymath} (14)

Die Gesamtstrahlungsintensität besteht nach Gleichung (13) aus zwei Anteilen: einem isotropen - d.h. von $\vartheta$ unabhängigen, linear mit $\tau$ zunehmenden - Anteil
\begin{displaymath}
\frac{S}{2 \pi} \left( 1 + \frac{3}{2} \tau \right)
\end{displaymath} (15)

und einem anisotropen Anteil
\begin{displaymath}
\frac{S}{2 \pi} \cdot \frac{3}{2} \cos \vartheta .
\end{displaymath} (16)

Abb. 3 zeigt die Wirkung beider Anteile: der nur von $\vartheta$ abhängige anisotrope Anteil wird beim Übergang von der Oberfläche der Photosphäre in tieferen Schichten von dem linear mit $\tau$ zunehmenden Anteil immer mehr übertroffen. Das bedeutet, daß sich mit wachsender optischer Tiefe $\tau$ das Strahlungsfeld immer mehr der Isotropie annähert, d.h. sich dem der Hohlraum-(Schwarzen)-Strahlung immer mehr annähert. Bemerkenswert an der durch Gleichung (13) beschriebenen Näherungslösung ist die Eigenschaft, daß sich am Sonnenrand ( $\vartheta \ = \ 90^\circ$) ein endlicher Intensitätswert ergibt, was durch die Messungen bestätigt wird. Darüberhinaus beschreibt das aus Gleichung (13) gebildete Verhältnis der Intensitäten
\begin{displaymath}
\frac{I(0, \vartheta)}{I(0, 0)} \ = \ \frac{2}{5} \left( 1 + \frac{3}{2}
\cos \vartheta \right)
\end{displaymath} (17)

recht gut den gemessenen Verlauf der Randverdunklung der integrierten Sonnenstrahlung. Die hier beschriebene einfache Lösung des Strahlungstransportproblems in einer grauen Atmosphäre stammt von A.S. EDDINGTON (1882-1944) und ist nach ihm benannt. Abb. 4 stellt schematisch die Variation der Gesamtstrahlungsintensität über die Sonnenscheibe im Rahmen der EDDINGTONschen Näherung dar. Einige numerische Werte der Funktion (17) sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Am Sonnenrand nimmt der Betrag der in Richtung zum Beobachter abgestrahlten Energie wegen der Anisotropie der Abstrahlung (siehe Abb. 4 und 1) deutlich ab.

Tabelle 1: Berechneter Verlauf der relativen Randverdunklung im integralen Licht für die Näherung durch eine graue Atmosphäre (Gl. (17)).

$\sin \vartheta = \frac{r}{R_{\odot}}$ $\cos \vartheta$ $\frac{I(0,0)}{I(0,\vartheta)}$
     
0,000 1,000 1,00
0,200 0,980 0,99
0,400 0,916 0,95
0,550 0,835 0,90
0,650 0,760 0,86
0,750 0,661 0,80
0,875 0,484 0,69
0,950 0,312 0,59
0,975 0,222 0,53
1,000 0,000 0,40


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Juergen Weiprecht 2002-10-29