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13.1.3 Bahnbestimmung

GAUSS ging von der rein geometrischen Beziehung,
\begin{displaymath}
{\bf r}_{\rm i} = {\bf E}_{\rm i} + d_{\rm i} {\bf e}_{\rm i} \, ,
\end{displaymath} (11)

aus. Die Vektoren sind in Abbildung 2 dargestellt und erklärt. Wie schon weiter oben gezeigt wurde, ist die Angabe von Orts- und Geschwindigkeitsvektor $({\bf r}_{\rm m}; {\bf\dot{r}}_{\rm m})$ eines Himmelskörpers zu einem Zeitpunkt $t_{\rm m}$ gleichwertig mit der Angabe der klassischen Bahnelemente beim ungestörten Zweikörperproblem. Da ${\bf r}_{\rm m}$ und ${\bf\dot{r}}_{\rm m}$, wenn man die Möglichkeit des freien Falls in die Sonne ausschließt, linear unabhängig sind und in der Bahnebene liegen, läßt sich auch jeder andere Vektor in der Bahnebene ${\bf r}_{\rm i}$ und ${\bf
\dot{r}}_{\rm i}$ als Linearkombination von $({\bf r}_{\rm m}; {\bf\dot{r}}_{\rm m})$ aufschreiben.


Liegen n Beobachtungen des topozentrischen Einheitsvektors ${\bf e}_{\rm i}$ zu den Zeiten $t_{\rm i}(i = 1, 2, 3, \dots \rm n)$ vor, und bezeichnen wir die Koeffizienten der Ortsvektoren mit $\alpha_{\rm i}$ und die der Geschwindigkeitsvektoren mit $\beta_{\rm i}$, so gilt:
\begin{displaymath}
{\bf r}_{\rm i} = \alpha _{\rm i} {\bf r}_{\rm m} + \beta _{\rm i}
{\bf\dot{r}}_{\rm m} \,.
\end{displaymath} (12)

Die Werte für $\alpha_{\rm i}$ und $\beta_{\rm i}$ kann man sich durch eine TAYLORreihenentwicklung nach ${\bf r}_{\rm m}$ verschaffen. Man erhält:
\begin{displaymath}
{\bf r}_{\rm i} = {\bf r}_{\rm m} + {\bf\dot{r}}_{\rm m}(t_...
...ldots}{r}}_{\rm m}}
{3!}(t_{\rm i}-t_{\rm m})^3 + \dots \, .
\end{displaymath} (13)

Ersetzt man ${\bf\ddot{r}}_{\rm m}$ und ${\bf\stackrel{\textstyle{\bf
\ldots}}{r}}_{\rm m}$ mit Hilfe der Bewegungsgleichung (1) und deren Ableitung und bricht die Reihenentwicklung nach dem 3. Glied ab, erhält man:
\begin{displaymath}
{\bf r}_{\rm i}={\bf r}_{\rm m} + {\bf\dot{r}}_{\rm m}(t_{\...
...}} {\bf\dot{r}}_{\rm m} \frac {(t_{\rm i}-t_{\rm m})
^3}{6}.
\end{displaymath} (14)

Ein Koeffizientenvergleich zwischen Gl.(12) und Gl.(14) ergibt:
$\displaystyle \alpha _{\rm i}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 1- \frac {(t_{\rm i}-t_{\rm m})^{2}GS}{2r^{3}_{\rm m}}$ (15)
$\displaystyle \hspace*{-3cm}{\rm und}\hspace*{3cm}$      
$\displaystyle \beta _{\rm i}$ $\textstyle =$ $\displaystyle (t_{\rm i}-t_{\rm m})- \frac {(t_{\rm i}-t_{\rm m})^{3}
\ GS}{6r^{3}_{\rm m}} \, .$ (16)

Setzt man Gl.(12) in Gl.(11) ein, so ergibt sich:
\begin{displaymath}
\alpha _{\rm i}\, {\bf r}_{\rm m}\,+\,\beta _{\rm i}\, {\bf...
... \,-
\,d_{\rm i}\, {\bf e}_{\rm i}. = \,{\bf E}_{\rm i} \, .
\end{displaymath} (17)

Im Fall von $n$ Beobachtungen handelt es sich dabei um ein lineares Gleichungssystem mit $3n$ Gleichungen und $n+6$ Unbekannten. Im Fall von drei Beobachtungen ist dieses System eindeutig und sofort lösbar. Im Fall $n>3$ Beobachtungen haben wir mehr Gleichungen als Unbekannte. In diesem Fall ist die Lösung durch Ausgleichsrechnung zu erhalten. Dazu ist das Gleichungssystem in das entsprechende System von Normalgleichungen zu überführen. Die dazu erforderlichen Rechenschritte lassen sich am einfachsten erläutern, aber auch für das Abarbeiten im Computer am übersichtlichsten darstellen, wenn man zur Matritzenschreibweise übergeht. Gl. (17) hat dann die Form:
\begin{displaymath}
{\bf\hat{A} \cdot x} = {\bf\hat{E}}.
\end{displaymath} (18)

Der Anschaulichkeit halber schreiben wir dieses Gleichungssystem noch einmal vollständig auf:
\begin{displaymath}
\left[ \begin{array}{cccccccccc}
\alpha _{1} & 0 & 0 & \be...
...E_{\rm y,n} \\ E_{\rm z,n} \\
\end{array} \right]_{\bf\, .}
\end{displaymath} (19)

Das zu lösende System der Normalgleichungen erhalten wir aus Gl. (18) durch Multiplikation von links mit der transponierten Matrix ${\bf\hat{A}}
^T$ (der an der Hauptdiagonalen gespiegelten Matrix ${\bf\hat{A}}$):
\begin{displaymath}
{\bf\hat{A}}^T \, \cdot \, {\bf\hat{A}}\, \cdot \, x = {\bf\hat{A}}^T\, \cdot \,
{\bf\hat{E}}.
\end{displaymath} (20)

Die linke Seite stellt jetzt die Koeffizientenmatrix des zu lösenden Systems der Normalgleichungen dar. Mit dem Ansatz
\begin{displaymath}
\alpha _{\rm i }=1,\qquad \beta _{\rm i} = t_{\rm i} - t_{\rm m} ,
\end{displaymath} (21)

d.h. der Annahme einer in erster Näherung geradlinigen und gleichförmigen Bewegung, ist dann das Gleichungssystem (19) iterativ zu lösen. Wenn wir jetzt noch für die Epoche $t_{\rm m}$ das Mittel aus den Beobachtungszeiten $t_{\rm i}$ einführen,
\begin{displaymath}
t_{\rm m} = 1/n \sum_{\rm i=1}^{\rm n} \, t_{\rm i},
\end{displaymath} (22)

haben wir alle für die Berechnung der unbekannten Bahn notwendigen Größen gegeben. Nach der ersten näherungsweisen Berechnung des Gleichungssystems lassen sich aus dem jetzt bekannten Wert von ${\bf r}_{\rm m}$ mittels der Reihenentwicklung (Gln. (15), (16)) neue verbesserte Werte von $\alpha_{\rm i}$ und $\beta_{\rm i}$ unter Einbeziehung von Gliedern höherer Ordnung gewinnen. Mit den neuen $\alpha_{\rm i}$ und $\beta_{\rm i}$ geht man dann wieder in das Gleichungssystem ein und erhält verbesserte Werte für die Integrationskonstanten der unbekannten Bahn in der Form der Komponenten von ${\bf r}_{\rm m}$ und ${\bf\dot{r}}_{\rm m}$. Diesen Iterationsprozeß setzt man so lange fort, bis sich die ${\bf r}_{\rm m}$ und ${\bf\dot{r}}_{\rm m}$ im Rahmen der durch die Beobachtungen $({\bf e}_{\rm i}, {\bf E}_{\rm i}, t_{\rm i})$ vorgegebenen Genauigkeit nicht mehr ändern. Das hier beschriebene Verfahren wird immer dann gute Ergebnisse liefern, wenn die Zeitdifferenzen $t_{\rm i}-t_{\rm m}$ klein gegen die Umlaufzeit $P$ des Himmelskörpers sind, da dann die Reihenentwicklung (Gl.(13)) schnell konvergiert. Liegen größere Zeitabstände zwischen den Beobachtungen vor, so ist es im Sinne einer raschen Konvergenz besser, die geschlossenen Ausdrücke für die $\alpha_{\rm i}$ und $\beta_{\rm i}$ zu verwenden. Diese lassen sich mit Hilfe der Konstanz des Drehimpulses ${\bf C}$ unter Ausnutzung des Flächensatzes,
\begin{displaymath}
r^2 \mbox{d} \varphi = C \mbox{d} t \qquad \mbox {mit} \qquad
C=\mid{\bf C}\mid \, ,
\end{displaymath} (23)

ableiten und ergeben sich zu
\begin{displaymath}
\alpha _{\rm i} = 1+ \frac{\cos (\varphi_{\rm i}-\varphi_{\rm m})-1}
{1+e \cos (\varphi_{\rm i}-\varphi_{\rm m})}
\end{displaymath} (24)

und
\begin{displaymath}
\beta _{\rm i} = \frac{C^3}{(GS)^2} \frac{\sin (\varphi_{\r...
...
{(1+e \cos \varphi_{\rm m})(1+e \cos \varphi_{\rm i})} \, .
\end{displaymath} (25)

Unter Anwendung des Flächensatzes lassen sich aus den bekannten Zeitdifferenzen $t_{\rm i}-t_{\rm m}$ auch die Differenzen der wahren Anomalien $\varphi_{\rm i}-\varphi_{\rm m}$ berechnen, die man in diesem Fall zur Berechnung der $\alpha_{\rm i}$ und $\beta_{\rm i}$ benötigt. Einsetzen für $r^2$ in den Flächensatz gibt:
\begin{displaymath}
\mbox{d}\varphi = \frac{(G\,S)^2}{C^3}\,(1+e \cos \varphi)^2 \mbox{d}t.
\end{displaymath} (26)

Durch Anwendung eines numerischen Integrationsverfahrens lassen sich aus Gl. (26) und der bekannten Anomalie $\varphi_{\rm m}$ zur Epoche $t_{\rm m}$ die wahren Anomalien $\varphi_{\rm i}$ zu den Zeiten $t_{\rm i}$ berechnen. Als häufig benutztes Verfahren bietet sich das Runge-Kutta-Verfahren an. Wählt man als Schrittweite $t_{\rm i}-t_{\rm m}$, so erhält man:

\begin{eqnarray*}
K_1 & = & \frac{(G\,S)^2}{C^3}(1+e \cos \varphi_{\rm m})^2, \...
...C^3}[1+e \cos (\varphi_{\rm m} +K_3\,(t_{\rm i}
-t_{\rm m})]^2
\end{eqnarray*}



und schließlich
\begin{displaymath}
\varphi_{\rm i}=\varphi_{\rm m}\,+\,1/6\,[K_1+2K_2+2K_3+K_4](t_{\rm i}-t_{\rm m}).
\end{displaymath} (27)

Im allgemeinen wird man ein großes Zeitintervall $(t_{\rm i}-t_{\rm m})$ noch einmal in $k$ kleinere Intervalle $\Delta t$ zerlegen $(K\, \cdot \,\Delta
t=t_{\rm i}-t_{\rm m})$, um ein möglichst genaues Resultat für $\varphi_{\rm i}$ zu erhalten. Die wahre Anomalie $\varphi_{\rm m}$ zum Zeitpunkt $t_{\rm m}$ ergibt sich als Winkel zwischen dem Ortsvektor ${\bf r}_{\rm m}$ und dem LAPLACEvektor ${\bf L}$:
\begin{displaymath}
\varphi_{\rm m}= \frac{{\bf r}_{\rm m} \cdot {\bf L}}{r_{\rm m} \cdot L}\, .
\end{displaymath} (28)

Eine ausführliche Darstellung der Bahnbestimmung nach der hier vorgestellten Methode findet sich in [1] und [2]. Für die praktische Rechnung wird der für die Bewegung der Planeten maßgebliche Parameter, das Produkt $G \cdot S$, im astronomischen Einheitensystem ausgedrückt [3]. Dabei ist die Masseneinheit die Sonnenmasse $S$, die Zeiteinheit der Tag $D$ und die Entfernungseinheit $A$ der Radius einer Kreisbahn, in der ein masseloser Körper die Sonne (die Masseneinheit) in $2 \pi / k$ Tagen umrunden würde. Die große Halbachse $a$ der Erdbahn ist mit dieser Definition $a = 1,000000031 A$. $k$ ist die GAUSSsche Gravitationskonstante und hat den Zahlenwert $k = 0,01720209895$. Im astronomischen Einheitensystem gilt also:
\begin{displaymath}
G \cdot S \equiv k^2 \,.
\end{displaymath} (29)


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Juergen Weiprecht 2002-10-29