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16.4 Interpretation von Polarisationskarten

Da in der Astronomie die beobachtbare Strahlung die nahezu einzige zur Verfügung stehende Informationsquelle darstellt, ist es notwendig, diese möglichst vollständig zu erschließen. Die moderne Beobachtungstechnik erlaubt heute die räumliche Auflösung einer Vielzahl ausgedehnter Objekte, die im polarisierten Licht sichtbar sind. Am Beispiel einiger im folgenden aufgeführten Polarisationskarten soll gezeigt werden, wie aus der Lage und Verteilung der Polarisationsvektoren (Polarisationsmuster), aus dem Polarisationsgrad und dessen Wellenlängenabhängigkeit und der zum Teil zeitlichen Veränderlichkeit des Polarisationsmusters auf strukturelle und physikalische Eigenschaften der betreffenden Objekte geschlossen werden kann. Diese Rückschlüsse werden im allgemeinen im Zusammenhang mit der Helligkeitsverteilung und weiteren Beobachtungsbefunden gezogen. Der der Interpretation einer Polarisationskarte zugrunde gelegte Polarisationsmechanismus ist nicht immer eindeutig festlegbar. Gerade zwischen den Mechanismen, die auf der Wechselwirkung von Strahlung mit kosmischen Staubteilchen beruhen, ist die Unterscheidung manchmal kompliziert oder gar nicht möglich, da beide Prozesse gleichzeitig wirken können. Im weiteren werden nur Polarisationskarten von Objekten gezeigt, die mit kosmischem Staub im Zusammenhang stehen. Polarisationskarten werden insbesondere zur Aufklärung der Struktur zirkumstellarer Hüllen genutzt. Zirkumstellare Hüllen sind Gas-Staub-Ansammlungen in der Nähe von stellaren Objekten, die besonders ausgeprägt im Falle junger stellarer Objekte als Überrest und/oder "`Nebenprodukt"' des protostellaren Kollaps und der Vorhauptreihenentwicklung sind, aber auch im Falle von Sternen im Nachhauptreihenstadium aus Masseverlustprozessen resultierend entstehen.


Die im weiteren aufgeführten Beispiele beziehen sich zum großen Teil auf die Aufklärung der Struktur der zirkumstellaren Umgebung entstehender Sterne. Karten dieser Objekte zeigen oft zentralsymmetrische Polarisationsmuster (siehe z.B. Abb. 14 und 15). Diese sehr auffälligen Muster sind allein auf Streuung des Lichtes der stellaren (mehr oder weniger eingehüllten) Zentralquellen am zirkumstellaren Staub zurückzuführen. Ein zentralsymmetrisches Muster kann nur entstehen, wenn ein großer Teil der Strahlung, die an den Staubteilchen gestreut wird, aus einem lokal sehr begrenzten Gebiet (z.B. von einem Stern) stammt. Da die Polarisationsrichtung bei Streuung an einem kosmischen Staubteilchen im allgemeinen senkrecht zu der Ebene liegt, die durch die Richtungen der einfallenden und gestreuten Strahlung aufgespannt wird, ordnen sich die Polarisationsvektoren tangential zur in Projektion sichtbaren Verbindungslinie zwischen Stern und Staubteilchen an (wenn die Einfallsrichtung vom Stern dominierend gegenüber anderen Einfallsrichtungen mehrfach gestreuter Strahlung ist). Theoretisch möglich ist bei dielektrischen Staubteilchen mit Ausdehnungen im Bereich der Wellenlänge auch eine radiale Ausrichtung. Ein zentralsymmetrisches Polarisationsmuster erlaubt in einfacher Art und Weise die Identifizierung und die Lokalisierung des für die Beleuchtung der zirkumstellaren Hülle verantwortlichen Objektes durch die Konstruktion des ungefähren Schnittpunktes der Mittelsenkrechten durch alle zentralsymmetrisch angeordneten Polarisationsvektoren. Diese Anwendung sei durch das folgende Beispiel belegt. So nahm man vor der Erstellung einer Polarisationskarte vom Gebiet HH34 (Abb.14 rechts) an, daß das Objekt HH 34 IRS5 für die Bestrahlung des umgebenden Nebels verantwortlich sei. Das ausgeprägte reguläre zirkulare Polarisationsmuster zeigt jedoch eindeutig, daß die Strahlungsquelle ein recht schwacher Stern ist, der sich hinter der nördlichen Peripherie des Nebels (in Abb.14 rechts oben rechts) befindet. Die Beobachtung, daß der Stern so schwach gegenüber dem reflektierenden Nebel strahlt, läßt darauf schließen, daß sein Licht auf der Sichtlinie "`verdunkelt"' wird, in die Richtung zum Reflexionsnebel jedoch fast ungehindert austreten kann. Bei einer Reihe von Polarisationskarten zeigen sich in der Nähe der beleuchtenden Quelle systematische Abweichungen vom zentralsymmetrischen Polarisationsmuster. Anstatt einer zentralsymmetrischen (kreisförmigen) Anordnung der Polarisationsvektoren (Polarisationsvektoren liegen tangential an Kreisen, deren Mittelpunkte im beleuchtenden Objekt liegen) sind diese eher elliptisch angeordnet oder sogar partiell linear ausgerichtet. Derartige Muster ergeben sich unter anderem durch Mehrfachstreuung an dichten Staubscheiben (Mehrfachstreuung bedeutet hierbei, daß die auf die Staubscheibe treffende Strahlung bereits Streustrahlung ist, welche aus Gebieten ober- und unterhalb der Scheibe kommt). Eine andere Erklärung basiert auf dichroitischer Absorbtion durch ausgerichtete längliche Teilchen in der Scheibe. Ein prominentes Beispiel für die elliptische Verformung des zentralsymmetrischen Polarisationsmusters ist in der Karte der HL/XZ-Tau-Region (siehe Abb.15) zu sehen. Die Längsachse der "`Polarisationsellipse"' liegt dabei in der Ebene der vermuteten zirkumstellaren Staubscheibe. In unmittelbarer Nähe von HL Tau sind die Polarisationsvektoren sogar linear ausgerichtet. Die Länge des Gebietes mit ausgerichteten Polarisationsvektoren kann einem Modell von BASTIEN und M`ENARD [3] zufolge u. a. zur Abschätzung der Scheibengröße verwendet werden. Im Falle von HL Tau ergibt sich danach für den Durchmesser der zirkumstellaren Staubscheibe (bei einer Länge der ausgerichteten Muster von $\approx$ 7${''}$ und einer Entfernung zu HL Tau von 140 pc) ein Wert von 880 AE.


Die vermuteten Durchmesser der zirkumstellaren Staubscheiben liegen bei einigen hundert AE. Um diese Strukturen an Hand vorhandener linear ausgerichteter Polarisationsmuster erkennen zu können, bedarf es einer hohen räumlichen Auflösung in den Polarisationskarten. Es sei daran erinnert, daß in der für Sternenstehungsgebiete typischen Entfernungvon 500 pc $1{''}$ räumliche Auflösung einer Ausdehnung von $\approx$ 500 AE entspricht. Inzwischen sind einige Polarisationskarten verfügbar, die eine räumliche Auflösung im Bereich von einer $1{''}$ aufweisen. PIIROLA und Mitarbeiter [15] konnten mittels ihrer hochaufgelösten Polarisationskarten (beste Kartenauflösung 0,2${''}$ bei einem Seeing von 0,4${''}$ ...0,6${''}$) bei zwei HERBIG-Ae/Be-Sternen (Vorhauptreihensterne mittlerer Masse, 3-5 M$_{\odot}$) ausgerichtete Polarisationsmuster als Hinweis auf die Existenz von Scheibenstrukturen nachweisen. TAMURA und Mitarbeiter [25] nutzten Polarisationskarten zur Untersuchung der Struktur der gerichteten Massenausflüsse bei einer Reihe von jungen stellaren Objekten. Aus dem Vergleich der Polarisationsbeobachtungen mit Beobachtungen von CO-Ausflüssen und Radiojets konnten sie die Bipolarität (siehe dazu Abb.16), eine Hüllen-Hohlraumstruktur und einen großen Öffnungswinkel nahe der Zentralquelle als typische Merkmale von den als Reflexionsnebel beobachtbaren Massenausflüssen feststellen.



Einige junge stellare Objekte zeigen in ihren Polarisationskarten über den Zeitraum einiger Jahre hinweg deutliche Veränderungen im Polarisationsmuster. Diese Veränderungen lassen sich unter anderem als Folge der Rotation einer inhomogenen ("`klumpigen"') Staubhülle interpretieren.


Abb. 17: Modell des bipolaren Nebels [5].

An dieser Stelle soll bemerkt werden, daß man gerade auch auf Grundlage von räumlich aufgelösten Polarisationsbeobachtungen auf das Modell des bipolaren Nebels (siehe Abb.17) schlußfolgerte, welches eine erste Vorstellung über die Struktur der zirkumstellaren Umgebung von entstehenden Sternen lieferte. Eine andere Klasse von ausgedehnten Objekten (neben den zirkumstellaren Staubhüllen), die aufgrund der Existenz von sowohl streuenden als auch dichroitisch absorbierenden Staubteilchen im teilweise polarisierten Licht erscheinen, sind Galaxien. Bei vergleichbaren Flächenhelligkeiten zwischen Reflexionsnebeln und Galaxien ist die Polarisationsmessung bei Galaxien wegen der nur geringen erreichten Polarisationsgrade von 1-5% (gegenüber bis zu 70% bei den Reflexionsnebeln) schwieriger. Abb. 18 links zeigt die Polarisationskarte der relativ nahen und hellen SEYFERT-Galaxie NGC1068. Die Polarisation des Lichts in den Gebieten rund um den aktiven Kern dieser Galaxie ist auf dichroitische Absorbtion an im Magnetfeld ausgerichteten länglichen Staubteilchen in den Spiralarmen und Zwischenarmgebieten zurückzuführen (die Rolle der Streuung ist noch unklar) und gibt umgekehrt Aufschluß über den Verlauf des Magnetfeldes in der Galaxie. Die Polarisation des Lichts aus dem Zentrum von NGC1068 (siehe Abb.18 rechts) entsteht aus einer Kombination der Wirkungen von Streuung und dichroitischer Absorption. Bei näherer Betrachtung ist im Zentrum der Galaxie ein Gebiet erkennbar, wo gegenüber der Umgebung deutlich größere Polarisationsgrade zu erkennen sind, wobei die Anordnung der Polarisationsvektoren derjenigen von Reflexionsnebeln entspricht. Dies kann auf die anisotrope Beleuchtung des Staubes durch den aktiven Galaxienkern erklärt werden, die womöglich durch die Existenz eines zirkumnuklearen Staubtorus entsteht. Radioastronomische Beobachtungen untermauern diese Erklärung, indem sie am Ort des Reflexionsnebels ein stark ionisiertes Gebiet nachweisen, welches als Folge des in gleicher Weise anisotropen UV-Strahlungsfeldes gebildet werden könnte.


Neben den bisher erwähnten Strukturaussagen kann durch die Messung der Polarisation des Lichtes auch auf die effektive Größe der Staubteilchen, an denen das Licht gestreut wurde, geschlossen werden. Im folgenden soll dies am Beispiel des Reflexionsnebels, der durch die IRAS-Quelle 07131-0147 beleuchtet wird, beschrieben werden. Man nimmt an, daß dieser Reflexionsnebel einen protoplanetaren Nebel darstellt, der im Laufe der Nachhauptreihenentwicklung des Zentralsterns auf dem asymptotischen Riesenast entsteht. In Abb. 19 links ist die Polarisationskarte der zirkumstellaren Umgebung von IRAS07131-0147 dargestellt. Abb. 19 rechts zeigt die Verläufe von Intensität, dem linear polarisierten Anteil der Intensität und des linearen Polarisationsgrades entlang der in Ausflußrichtung liegenden Nebelachse.


SCARROTT und Mitarbeiter [22] schlossen unter Vorraussetzung einer einfachen Hüllengeometrie auf Grundlage der im folgenden angedeuteten Überlegungen auf die effektive Staubteilchengröße: (1) Die Position von IRAS07131-0147 im Zweifarbendiagramm deutet auf einen M-Stern, dessen sauerstoffreichere (im Vergleich zum Kohlenstoffgehalt) Winde zur Bildung von Silikatteilchen führen. (2) Der maximale Polarisationsgrad von 67% kann nur erreicht werden, wenn die Streuwinkel nahe 90$^{\circ}$ liegen, d.h. wenn die Nebelachse nur leicht gegen die Ebene des Himmels geneigt ist (die Depolarisation durch Integration der verschieden polarisierten Intensitätsanteile entlang der Sichtlinie ist gering, da die Staubteilchen sich an den Wänden der Ausflüsse konzentrieren - Hüllen-Hohlraumstruktur). (3) Im Falle von RAYLEIGH-Streuung wäre (bei vernachlässigbarer Absorption) eine Symmetrie des Helligkeitsverlaufes zwischen beiden Flügeln des Reflexionsnebels entlang der Nebelachse in Bezug auf die Zentralquelle zu erwarten, die jedoch nicht vorliegt (vgl. Abb.19 r.o.). (4) Um die maximal erreichte Polarisation mit MIE-streuenden Teilchen zu erklären, deren Radienverteilung dem Potenzgesetz $N(a) = a^{-\rm n}$ folgt, muß der Exponent der Radienverteilung $n = 5,3$ betragen (siehe Abb.20). Dies bedeutet, daß die effektive Größe der Staubteilchen (das ist die Größe, bei der die meiste Energie gestreut wird) $\le 0,2\mu$m beträgt.


Die Erstellung und Auswertung von Polarisationskarten erstreckt sich nicht nur auf extragalaktische Objekte und zirkumstellare Hüllen in Sternentstehungsgebieten oder bei Nachhauptreihensternen. Auch innerhalb unseres Sonnensystems sind Polarisationsbeobachtungen ein brauchbares Hilfsmittel. So lassen sie z.B. im Falle von Kometen Rückschlüsse auf deren Staubverteilung zu.
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Juergen Weiprecht 2002-10-29