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3.1.2 Meridiandurchgang, Kulmination und scheinbare Bahnkurve der Sonne

Um eine höhere Genauigkeit bei der geographischen Ortsbestimmung zu erreichen, beobachtet man die Sonne nicht allein bei ihrer Kulmination, sondern ermittelt die Höhen $h_{i}$ (wobei die Höhenabweichungen infolge von Refraktion und täglicher Parallaxe bereits korrigiert worden sind) bei unterschiedlichen mittleren Sonnenzeiten $t_i$ entlang der scheinbaren täglichen Bahn der Sonne in der Nähe ihres Kulminationspunktes (davor und danach). Durch die so erhaltenen Meßpunkte mit den Koordinaten $(t_i,h_i)$ wird eine die scheinbare tägliche Bahnkurve annähernde Ausgleichskurve gelegt, aus deren Verlauf $h_{\rm Kulm}$ wie auch die Kulminationszeit $t_{\rm Kulm}$ bestimmt werden können (Formalismus folgt weiter unten). Während ihrer scheinbaren täglichen Bewegung erreichen die Gestirne südlich des Himmelsnordpols ihre größte Höhe über dem Horizont (obere Kulmination, siehe Abb. 3). Für Objekte mit $\frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}\tau}=0$ ($\tau$ im Sinne einer Zeit), d.h. für Fixsterne, stimmt die für die geographische Längenbestimmung gesuchte Zeit des Meridiandurchganges mit der der oberen Kulmination überein. Die Sonne erreicht ihre gr"o"ste H"ohe an den meisten Tagen des Jahres nicht genau im Meridian, da f"ur sie meist $\frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}\tau} \neq 0$ gilt (siehe Abb. 3).




Für die Bestimmung der geographischen Länge auf Grundlage von Sonnenbeobachtungen benötigt man eine Beziehung, die es gestattet, aus der zeitlichen Änderung der Deklination der Sonne $\frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}\tau}$ und der ungefähren geographischen Breite des Beobachtungsortes (bei unterschiedlichen Breiten sind die Ebenen der Tagbögen der Gestirne verschieden steil zur Horizontebene geneigt) den Stundenwinkel $\tau_{\rm Kulm}$ zu berechnen und so auf die Zeit des Meridiandurchganges $t_{\rm Meridian}$ ( $\tau_{\rm Meridian} = 0^{\rm h}$) zu schließen. Grundlage zur Herleitung dieser Beziehung ist diejenige der in Aufgabe "`Aufsuchen und Klassifizieren astronomischer Beobachtungsobjekte"' gegebenen Umrechnungsformeln von äquatorialen in horizontale Koordinaten, welche die Azimutkoordinate nicht enthält. Differenziert man diese nach der Zeit ($\tau$) und setzt $\frac{{\rm d}h}{{\rm d}\tau} = 0$ (zur Kulmination verschwindet die Höhenänderung), so ergibt sich bei $\varphi \neq 90^\circ$ für den Stundenwinkel der Kulmination

\begin{displaymath}
\sin \tau_{\rm Kulm} =
\left( \frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}...
...hi_{\rm Beob} - \tan \delta_{\rm Kulm} \cos \tau_{\rm Kulm}),
\end{displaymath}

wobei alle Winkel im Bogenmaß ausgedrückt sein sollen. Für kleine Winkel $\tau_{\rm Kulm}$ gilt dann: $\sin \tau_{\rm Kulm} \approx \tau_{\rm Kulm}$ und $\cos \tau_{\rm Kulm} \approx 1$, so daß man erhält:

\begin{displaymath}
\hspace*{-11mm}
\tau_{\rm Kulm} =
\left( \frac{{\rm d}\de...
...m} \cdot
(\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan \delta_{\rm Kulm}).
\end{displaymath}

In Winkelsekunden ausgedrückt ergibt sich für $\tau_{\rm Kulm}$:

\begin{displaymath}
\tau_{\rm Kulm} \approx 206265''
\left( \frac{{\rm d}\delt...
...m}
\cdot (\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan \delta_{\rm Kulm}).
\end{displaymath}

Die tägliche Deklinationsänderung kann mit Hilfe der aus astronomischen Jahrbüchern entnehmbaren Sonnendeklinationen interpoliert werden. Diese soll mit $\mu$ bezeichnet werden. Zwischen $\mu$ (Einheit [$''$/d]) und $\left( \frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}\tau} \right)_{\rm Kulm}$ (Einheit Bogenmaß bzw. [$''/''$]) besteht folgender Zusammmenhang:

\begin{displaymath}
\left( \frac{{\rm d}\delta}{{\rm d}\tau} \right)_{\rm Kulm} =
\frac{\mu}{3600 \cdot 24 \cdot 15}.
\end{displaymath}

Die gesuchte Zeitdifferenz (mittlere Sonnenzeit) zwischen Meridiandurchgang und Kulmination $\Delta t_{\rm Kulm}$ ergibt sich nach Umrechnung der Winkelsekunden in Zeitsekunden (1$''$ entspricht $\frac{1}{15}$ s) und Umwandlung von Sternzeitmaß in das Zeitmaß der mittleren Sonne ( $\Delta t_{\overline{\odot}} = \frac{\Delta t_*}{1,002737909}$):
$\displaystyle \Delta t_{\rm Kulm}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{206265 \cdot \mu}{3600 \cdot 24 \cdot 15 \cdot 15
\cdot 1,002737909} \cdot (\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan \delta_{\rm Kulm}),$  
$\displaystyle \Delta t_{\rm Kulm}$ $\textstyle \approx$ $\displaystyle \frac{\mu}{94,5} \cdot (\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan
\delta_{\r...
...\ \ \ \ \ \qquad \qquad [\Delta t_{\rm Kulm}/{\rm s}, \
\mu/\frac{''}{\rm d}].$ (4)

Abschließend soll die scheinbare tägliche Bahnkurve der Sonne in der Nähe ihrer Kulmination näherungsweise durch eine Funktion $h = h(t)$ beschrieben werden. Die Form der scheinbaren täglichen Bahnkurve der Sonne erscheint für den Beobachtungszeitraum von ca. 2 h im Vergleich zu der eines Fixsterns nur gering verändert (die verschobene Lage des Kulminationspunktes hingegen ist beachtenswert). Die Bestimmung einer einfachen Näherungsfunktion $h = h(t)$ für die scheinbare tägliche Bahnkurve eines Fixsterns geht vom exakten Zusammenhang zwischen der Höhe und den äquatorialen Koordinaten aus (siehe Aufgabe "`Aufsuchen und Klassifizieren astronomischer Beobachtungsobjekte"', dabei erscheint zunächst anstatt der mittleren Sonnenzeit $t$ der im Sternzeitmaß gemessene Stundenwinkel $\tau$), der nach $h(\tau)$ umgestellt wie folgt aussieht:
\begin{displaymath}
h(\tau) = \arcsin (\sin \varphi \sin \delta + \cos \varphi \cos \delta
\cos \tau).
\end{displaymath} (5)

Durch eine Taylor-Entwicklung in der Nähe des Stundenwinkels der Kulmination $\tau_{\rm Kulm}$ erhält man

\begin{displaymath}
h(\tau) = h(\tau_{\rm Kulm}) +
\stackrel{\mbox{\boldmath$ ...
...\rm Kulm})
\frac{(\tau - \tau_{\rm Kulm})^3}{3!} + \dots \ \
\end{displaymath}

Für Beobachtungen nach der Kulmination setzt man $\tau_{\rm Kulm} =
0^{\rm h}$, für Beobachtungen vor der Kulmination $\tau_{\rm Kulm} =
24^{\rm h}$. Wegen $\cos \tau$ in (
5) werden die Terme mit den ungeradzahligen Ableitungen zu Null, und es ergibt sich für $h(\tau)$ ein nur aus Parabelfunktionen bestehendes Polynom. Dieses kann in erster Näherung bereits nach dem quadratischen Glied abgebrochen werden, so daß sich mit $\stackrel{\mbox{\boldmath .\hspace{-1pt}.}}{h}(\tau_{\rm Kulm}) = -\frac{1}{\tan \varphi_{\rm Beob}
- \tan \delta}$ der folgende Ausdruck für die Ausgleichskurve $h(\tau)$ ergibt ($h$ und $\tau$ im Bogenmaß):
\begin{displaymath}
h(\tau) = h(\tau_{\rm Kulm}) -
\frac{(\tau - \tau_{\rm Kulm})^2}{(\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan \delta)
\cdot 2}.
\end{displaymath} (6)

Setzt man in (6) $h$ und $\tau$ in $[^\circ]$ ein, überführt $\tau$ vom Gradmaß ins Zeitmaß (1 $^{\circ} \hat{=}$ 4min) und transformiert $\tau$ abschließend in die mittlere Sonnenzeit $t$ in [min] (Faktor 1,002737909), so erhält man:
$\displaystyle h(t) \frac{[^\circ]}{\frac{180^\circ}{\pi}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle h(t_{\rm Kulm})
\frac{[^\circ]}{\frac{180^\circ}{\pi}} \ - \
\fr...
... 2 \cdot (\frac{180^\circ}{\pi})^2 \cdot (4{\rm min})^2 \cdot
(1,002737909)^2},$  
$\displaystyle h(t)$ $\textstyle \approx$ $\displaystyle h(t_{\rm Kulm}) \ - \
\frac{(t - t_{\rm Kulm} )^2}
{(\tan \varphi_{\rm Beob} - \tan \delta) \cdot 1823}; \qquad \qquad
[h/^{\circ}, t/{\rm min}].$ (7)


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Juergen Weiprecht 2002-10-29